Man muss sich das Internet heute so groß wie einen Golfball vorstellen, bald wird es die Größe der Sonne haben. Dann gibt's noch mehr Cyber-Kriminalität und es wird nicht helfen, Passwörter einfach noch komplizierter zu machen. Sicherheitsexperte Marc Goodman im Interview für ZDF heute.de:
Was ist Ihr persönliches Worst Case Scenario? Ein Hacker-Angriff auf die US-Wahl?
Wir müssen ja davon ausgehen, dass der Hack schon stattgefunden hat, denn die E-Mails aus der Wahlkampfzentrale der Demokratischen Partei sind bereits gestohlen worden. Jetzt geht es den Hackern nur noch darum, das Material nach und nach mit gutem Timing zu veröffentlichen. Ziel ist meiner Meinung nach gar nicht so sehr, die Wahl am Ende wirklich zu manipulieren, als vielmehr Misstrauen in der Öffentlichkeit zu säen. Wir machen hier in den USA gerade eine sehr spezielle Zeit durch und es gibt bei diesen Datenhacks ziemlich viele Anzeichen, die nach Russland zeigen.
Das Hacken einer Wahl ist auch nichts Neues, sagen Sie?
Nein, in meinem Buch beschreibe ich mindestens vier oder fünf Angriffe auf Wahlen, die schon stattgefunden haben. Das ist also kein Szenario der Zukunft, sondern eines der Vergangenheit. Mein Lieblingszitat ist von Science Fiction-Autor William Gibson: “Die Zukunft ist schon hier, sie ist nur sehr ungleichmäßig verteilt.” Das gilt für die guten wie die schlechten News aus dem Silicon Valley. Viele der Bedrohungen, von denen die Allgemeinheit heute zum ersten Mal hört, existieren in Wahrheit schon lange. Das heißt: Autos sind gehackt worden, Wahlen, Aktienmärkte, Flugzeuge und Wasserversorgungen - es ist alles schon dagewesen. Wir haben in der Menschheitsgeschichte noch kein Computersystem gebaut, das nicht angreifbar wäre. Die Frage muss also sein: Wie bauen wir unsere Gesellschaft so um, dass sie auf diesem technologisch wackligen Boden stehen kann?
Also gibt es für Sie kein "Pearl Harbor der Internetkriminalität"?
Ach, eigentlich gibt es inzwischen jeden Tag so ein "Cyber Pearl Harbor". Viele wissen zum Beispiel nicht, dass wir gerade zum ersten Mal einen Eine-Milliarde-Bankraub hatten. Hacker aus Osteuropa sind in 30 Ländern in Hunderte von Banken eingedrungen und haben eine Milliarde Dollar gestohlen. Das ist schon eine ziemlich gute Attacke. Oder nehmen Sie die Berichte, dass Russland im Streit mit der Ukraine die Computer des Flughafen Kiew und dessen Flugverkehrkontrolle gehackt habe, genau wie die ukrainische Stromversorgung. Das sind schon jetzt kritische Infrastruktur-Angriffe. Die Herausforderung wird sein, dass bald jedes physische Objekt unserer Welt mit dem Internet verbunden sein wird. Heute haben wir nur Smartphones und Laptops oder Computer, aber das Netz wird in Zukunft viel größer werden.
Stellen wir es uns jetzt so groß vor wie einen Golfball, wird es schon bald so groß sein wie die Sonne. Nach Berechnungen von Cisco kommen bis 2020 durch das Internet der Dinge 50 Milliarden neue Geräte dazu. Und fast alle werden unsicher sein. Laut Hewlett-Packard sind 70 Prozent aller IoT-Geräte angreifbar und haben mehr als 25 Sicherheitslücken. In Zukunft aber werden unser Kühlschrank, unsere Microwelle, unser Auto, Fahrrad, Herzschrittmacher genau wie das U-Bahn-Netz, die Straßenbeleuchtung und unser Smart Home ein Einfalltor für Hacker sein. Das bedeutet, wir müssen in diese 50 Milliarden neuen Geräte von Anfang an mehr Sicherheit einbauen, um das große Chaos zu vermeiden.
Marc Goodman beschäftigt sich mit Cyberkriminalität. Der Sicherheitsexperte berät seit Jahren die US-Bundespolizei FBI und unterrichtet am Zukunftsinstitut Singularity University im Silicon Valley. Er ist Autor des Bestsellers "Future Crimes", das vor kurzem unter dem Titel "Global Hack" in deutscher Sprache erschien (Hanser Verlag).
Dabei schreiben die meisten von uns ihre Passwörter immer noch auf kleine gelbe Klebezettel ...
Das stimmt leider und der Grund dafür ist, dass alle Produkte rund um Cyber-Sicherheit heute noch immer von Geeks für Geeks entwickelt werden. Diese Computerfreaks lassen sich Sachen einfallen, die nur Computerfreaks verstehen, aber keine normalen Leute. Die sagen einfach: Du brauchst ein 50-stelliges Passwort, das Klein- und Großbuchstaben enthalten muss, Zahlen, Sonderzeichen und möglichst noch das Blut einer Jungfrau. Man generiert also dieses aufwändige Passwort und - muss es schon morgen wieder wechseln. Das ist total sicher, klar, aber praktisch? Absolut nicht. Das heißt, wir müssen diese Leute, die sowas erfinden, davon überzeugen, nicht wie R2-D2 in "Star Wars" mit uns zu sprechen, sondern wieder allgemein verständlich zu werden. Es gibt schon ein paar gute Anbieter (Links), die all unsere Passwörter für uns managen, aber nur ein verschwindend kleiner Anteil von Leuten nutzt sowas schon.
Sie glauben, dass Crowdsourcing helfen könnte. Wie das?
Im Moment denken noch zu viele Leute, dass sich schon jemand anderes um ihre online-Sicherheit kümmern wird. In den meisten Firmen glauben die Angestellten, das sei der Job der IT-Abteilung und die IT-Abteilung glaubt, das sei der Job des Cyber-Security-Teams. Aber in großen Firmen mit 100.000 Angestellten kann Cybersicherheit nicht mehr nur eine Abteilung sein, es muss eine Einstellung werden. Jeder in der Firma muss wissen, dass er seinen kleinen Teil beizutragen hat. Denn der Hacker in China kann ihm eine E-Mail schicken, die die ganze Firma infiziert. Dessen müssen wir uns alle klar werden. Laut IBM sind Menschen für 95 Prozent aller Dateneinbrüche verantwortlich. Entweder weil sie auf einen falschen Link klicken und damit Schadware downloaden oder weil zum Beispiel eine Firewall falsch konfiguriert wird. Das heißt, wir haben viel zu tun, uns selbst zu schützen.
Müssen wir nicht einfach mehr Leute in Cyber-Sicherheit ausbilden?
Laut Cisco werden uns im Jahr 2020 zwei Millionen IT-Fachkräfte fehlen. Ich fürchte, Rekruiting wird hier nicht die alleinige Lösung sein. Wir können nicht fünf Milliarden Menschen im Internet sein und nur 25 000 Cybersecurity-Experten. Das wird nicht funktionieren. Stattdessen müssen wir schon Kindern beibringen, wie man sich sicher im Internet bewegt. So wie wir sie lehren, nicht mit Fremden mitzugehen und keine Drogen zu nehmen. Kinder sollten früh lernen, Verantwortung für ihre eigene Sicherheit im Netz zu übernehmen.
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