Ein deutscher Software-Forscher will beweisen, dass sein Computer ein komplexes strategisches Spiel gegen den besten Profispieler gewinnen kann - selbst wenn der Zufall mitspielt. Ein Experiment, das zeigt, wie weit die Künstliche Intelligenz schon entwickelt ist und worauf wir Menschen uns vorbereiten müssen.
Chris Boos war schon mit zehn Jahren ein Computer-Freak, mit 11 hat er sich zum letzten Mal gelangweilt. Seitdem fehlte ihm immer nur eins: Zeit.
Man müsste eine Maschine erfinden, die den Menschen Zeit zurückgeben könnte,
dachte er schon damals, indem sie lästige, monotone Arbeiten für sie erledigt. Boos glaubt, dass er heute eine Maschine hat, die soweit ist.
In New York hat der Chef des Frankfurter Software-Anbieters Arago jetzt eine Wette ausgerufen: Sein Autopilot HIRO, an dem Boos 15 Jahre geforscht hat, soll nach nur drei Monaten Training ein komplexes strategisches Computerspiel gegen einen der besten Profispieler gewinnen können.
CIVILIZATION ist ein beliebtes Computer-Spiel, bekannt dafür, süchtig zu machen. Im Herbst kommt Version 6 heraus. Der Spieler entwickelt eine neue Zivilisation von Grund auf, erobert Land, baut Städte, führt Kriege, schließt Frieden, macht bestimmte technische Fortschritte oder eben auch nicht. Am Ende besiegt man entweder alle anderen Völker oder muss sich auf einen entfernten Planeten retten. Und bei alldem spielt der Zufall mit hinein.
"Wir wollen zeigen, dass der Computer auf Glück oder Pech genauso wie wir Menschen reagieren kann. Er passt seine Pläne einfach der Realität an.”, so Boos. Wenn das Experiment im Oktober gelingt, so wäre das ein noch größerer Coup, als ihn Google kürzlich produziert hat. Im März hatte Google’s Computerprogramm AlphaGo den Weltmeister im Go - einem Schach-ähnlichen Spiel aus Asien - erstmals bezwungen. Spieler und Fachwelt waren entsetzt bis begeistert. Doch die vergleichsweise kleine Frankfurter Firma Arago nimmt es mit Google auf: “Ein Spiel wie Schach oder Go ist reine Logik. Da gibt’s keine Zufälle.”, so Boos, “CIVILIZATION ist die viel komplexere Herausforderung für die Maschine, mit etwa 400 Zügen pro Spiel statt 40 wie bei Schach.”
Die weltweit 30 besten CIVILIZATION-Spieler hat Boos zu Trainern seiner Maschine gemacht. “Am Anfang weiß der Computer gar nichts über das Spiel. Wir geben ihm die Spielregeln und dann fragen wir den Spieler nach jedem Spielzug, den wir nicht verstehen: ‘Warum hast Du das jetzt gemacht?’. Durch die Erklärung des Profis lernt der Computer weiter. Am Ende braucht er den Menschen nicht mehr - und wird ihn besiegen, das ist der Plan.
Boos will zeigen, was Künstliche Intelligenz heute schon kann. "Im Grunde ist es der Beweis, dass alle Prozesse, vom Backoffice einer Bank bis zu medizinischen Diagnosen, vom Computer erledigt werden können. Natürlich bringe diese intelligente Automatisierung große Veränderungen, wird Arbeitsplätze verändern oder vernichten. Ihm macht das keine Angst, so Boos. Immer wieder wird er gefragt: Wenn die Machinen unsere Arbeit machen, was machen wir Menschen dann? Boos' Antwort: "Wenn ich mir anschaue, was auf der Welt gerade so los ist, dann weiß ich, dass es immer genug zu tun geben wird. Denn die großen Probleme der Menschheit, die müssen wir schon selber lösen, das kann kein Computer."
Unsere genetische Erinnerung und die Fähigkeit, zum Beispiel auch in Fehlern etwas Gutes zu sehen, bleibt unser Vorteil. Das menschliche Gehirn lässt sich bis heute nicht nachbauen, beruhigt der IT-Experte. "Letztlich haben wir sehr viel Zeit damit verbracht, Menschen beizubringen, wie Maschinen zu arbeiten. Jetzt bekommen wir unsere Zeit für wichtigere Dinge zurück. Ich finde das sehr positiv."
Und da sind wir wieder beim Kindheitstraum von Chris Boos.
Hans-Christian "Chris" Boos ist Chef von Arago, einem Software-Anbieter, der intelligente Automatisierung für IT-Abteilungen verkauft. 15 Jahre hat Boos an seinem Autopiloten HIRO geforscht. Inzwischen verkauft er das Produkt z.B. an Banken. Kürzlich stieg die Beteiligungsgesellschaft KKR bei Arago ein, jetzt will Boos den amerikanischen Markt erobern. Der Wissenschaftler ist Albino und besitzt nicht mal 10% Sehkraft. Seine Eltern schulten ihn einst gegen den Rat aller Ärzte ein: “Der Junge wird nie normal lernen können."
Artikel und Video erschienen bei ZDF heute.de:
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